Ist unsere Wirtschaftskrise inszeniert?
Von der Seele reden
Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.
Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de
Ist unsere Wirtschaftskrise inszeniert?
Die Industrieproduktion ist in der gesamten EU eingebrochen. Frankreich, Italien und andere haben ähnliche Probleme. Es ist ein tiefer Einschnitt. Allerdings: Die Krise ist nicht naturwüchsig und teilweise ist sie inszeniert. In der taz lese ich: Konzerne wollen zeigen, dass der soziale Kapitalismus ausgedient hat. Das Signal ist: Der Einfluss der Gewerkschaften ist zu groß. Viele sogenannte Experten empfehlen: „Der gewerkschaftliche Einfluss muss geschmälert werden.“ Da hilft die Erzeugung von Katastrophenstimmung. In der Krise 2007 bis 2009 waren es Betriebsräte und Gewerkschaften, die Instrumente wie Langzeit-Kurzarbeit in den Unternehmen durchgesetzt haben. Da waren alle voll des Lobes über Gewerkschaften. Das hat sich jetzt geändert. Richtig aber ist: Es gibt zu wenig Planungssicherheit, auch für die industriellen Akteure. Das führt zur Zurückhaltung von Investitionen. Aber auch die Energiepreise machen es den deutschen Kernindustrien schwerer, im internationalen Wettbewerb zu bestehen, meint Stefan Kooths, Konjunkturforscher vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IFW). Und die alternde Bevölkerung und der damit verbundene Fachkräftemangel sei ein Faktor. Da gibt es politischen Handlungsbedarf. Mit dem Bedeutungsverlust der Industrie sind allerdings nicht nur Befürchtungen verbunden, sondern auch die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel rechnet auch nicht damit, dass deutsche Unternehmen in Scharen das Land verlassen. Mehr noch: Das Narrativ der Deindustrialisierung sei aus den Daten „schwer ableitbar“, sagt er. „Wenn Sie sich im ganzen Pharmabereich die Entwicklung anschauen, auch im chemischen Bereich, wo oft vermutet wird, dass da große Abwanderungen stattfinden, ich sehe die einfach nicht“, so Nagel. Die Wirtschaftsstruktur in Deutschland sei so schlecht nicht, meint der Bundesbank-Präsident. „Ich sage nicht, dass wir nichts zu tun hätten, aber wir dürfen uns auch nicht schlechter machen, als wir in Wirklichkeit sind.“ Entscheidend für den Wohlstand eines Landes ist die Wertschöpfung, die auch den Beitrag eines Wirtschaftsbereichs zum Bruttoinlandprodukt (BIP) bestimmt, nicht die mengenmässige Produktion. Und bei der Wertschöpfung sieht es bei uns noch recht gut aus. Eine Ifo-Studie zieht deshalb das Fazit, dass es derzeit keine Anzeichen für eine breit angelegte Deindustrialisierung der deutschen Wirtschaft gibt. Zur Entdramatisierung trägt auch ein internationaler Vergleich bei: In Deutschland liegt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung laut Eurostat Daten mit zuletzt knapp 21 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 17 Prozent. Während diese Kennzahl in Staaten wie Frankreich und Großbritannien seit Mitte der 1990er Jahre stark gesunken ist und nun bei rund 10 Prozent liegt, schwankte sie in Deutschland mit Ausnahme der Finanzkrise meist zwischen 22 und 23 Prozent, erst seit 2019/20 liegt sie etwas darunter. Anderswo ist somit der Strukturwandel weg von der Industrie hin zu Dienstleistungen weiter vorangeschritten als in Deutschland. Öfter mal Ursache und Wirkung hinterfragen und nicht gleich verrückt machen lassen von diesen unseriösen Figuren, denen es nur darum geht, mit negativen Schlagzeilen Aufmerksamkeit zu erregen. Ich füge hinzu: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.“ Ich wünsche Ihnen eine angenehme und erfolgreiche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.