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Ein Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller
  • Von der Seele reden

75 Jahre Grundgesetz

Von der Seele reden | Folge 603

27.05.2024

Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.

Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de


Wir haben es in den letzten 75 Jahren geschafft, aus einem Land, für das nach dem Holocaust durch die Nazis nur Verachtung blieb, einen anerkannten demokratischen Staat entstehen zu lassen, auf den wir durchaus stolz sein können. Dazu hat unsere Verfassung, das Grundgesetz, sicher einen wertvollen Beitrag geleistet.

Zentraler Begriff des Grundgesetzes ist die Menschenwürde. Die verfassungsgebende Versammlung, der Parlamentarische Rat, ging im Sinne des Absatzes 1 im Artikel 1 des Grundgesetzes davon aus, dass der Mensch als geistig-sittliches Wesen darauf angelegt ist, in Freiheit und Selbstbewusstsein sich selbst zu bestimmen und auf die Umwelt einzuwirken. So erklärt der Philosoph Immanuel Kant die Menschenwürde:

„Dinge sind wertvoll, wenn wir sie brauchen können. Ein Schuh ist zum Beispiel wertvoll, wenn er passt und man mit ihm gut laufen kann. Der Schuh hat dann einen Wert. Wenn der Schuh kaputt ist, hat er keinen Wert mehr. Bei Menschen ist das anders: Der Mensch hat immer einen Wert. Auch wenn er krank ist. Auch wenn er nicht arbeiten kann.“ Kant sagt: „Alles hat einen Wert, der Mensch aber hat eine Würde.“ 

Die Menschenwürde in unserem Grundgesetz begreift den Menschen nicht als selbstherrliches Individuum, sondern als in der Gemeinschaft stehende und ihr vielfältig verpflichtete Persönlichkeit, die von der grundsätzlichen rechtlichen Gleichheit aller Menschen ausgeht.

Der Bereich der Kultur scheint derjenige zu sein, welcher die größte Sprengkraft entwickelt. Das Prinzip „Wir und die anderen“ steht dem Prinzip des Multikulturalismus gegenüber. Die erheblichen Differenzen zwischen Zivilisationen kommen durch die intensivierten Berührungen überhaupt erst zutage und befördern Diskussionen über kulturelle Identität. In einer auf Wettbewerb getrimmten Gesellschaft leidet die Empathie Not. Die Fähigkeit zur Empathie ist aber keineswegs überholt. Mit Klarheit tritt das biblische Gebot für Empathie ein, indem es fordert, sich sogar um den Feind zu sorgen und dem Fremden freundlich zu begegnen. Gerade in einer Welt, in der Vielfalt zu den Kennzeichen fast aller Gesellschaften gehört, erweist sich Empathie als notwendig.

Zu viele Menschen empfinden aus Angst, man könne sie und ihre eigenen Möglichkeiten einschränken, alles Neue und Fremde als Bedrohung. Dabei hat jede Alternative, auch jede Lebensart, etwas Vorteilhaftes, dass auch das eigene Leben bereichern könnte.

Für mich ist unsere Kultur der friedlichen Nachbarschaft, des demokratischen Rechtsstaates und der Achtung der Menschenwürde der Garant für ein glückliches Leben. Daran sollten wir an diesem Jubiläum denken.

Ich wünsche Ihnen eine glückliche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.