00:00
06:24
Ein Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller
  • Von der Seele reden

Hat die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft nachhaltig verändert?

Von der Seele reden | Folge 601

14.05.2024

Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.

Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de


Ende des Jahres 2019 traten in China die ersten Fälle einer bis dahin unbekannten Lungenerkrankung auf, die sich binnen Monaten zu einer weltweiten Pandemie ausweiteten. Zu Beginn des Jahres 2020 identifizierten die chinesischen Behörden den Erreger als ein neuartiges Coronavirus (SARS-CoV-2) und am 30. Januar 2020 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine gesundheitliche Notlage aus. Das Virus ist verwandt mit dem Erreger der SARS-Pandemie von 2002/03. Die von dieser Krankheit ausgelösten Symptome ähneln denen einer Grippe und können in schweren Fällen zum Tod führen, was weltweit fast sieben Millionen Mal der Fall war. in Deutschland wurden bisher über 183.000 Todesfälle gemeldet. 119.000 Verstorbene davon waren über 80 Jahre alt. Dreieinhalb Jahre beherrschte das An- und Abschwellen der Infektionswellen den Alltag der Menschen bis - dank der Entwicklung natürlicher Immunitäten und eines gigantischen weltweiten Impfprogramms - das Virus eingedämmt werden konnte. Am 5. Mai 2023 erklärte die WHO schließlich die internationale Notlage für beendet, meldet Statista.

Ein Mangel an Bewegung wurde zum alltäglichen Problem und die mitunter katastrophalen Spätfolgen einer Covid-Infektion, genannt Long-Covid, haben bis heute verheerende Konsequenzen auf das Leben der Betroffenen. Aber hat die Pandemie auch unser gesellschaftliches Leben nachhaltig verändert?

Die Verwundbarkeit unserer Lebensweise wurde offengelegt, Gefühle der Unsicherheit, Angst oder Hilflosigkeit sind nachhaltige Folgen der Pandemie. Corona hatte eine Beschleunigung der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien in Kommunikation, Arbeit und Wissenschaft zur Folge, die offenbar anhält. Das wird von Vielen als positive Entwicklung wahrgenommen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die digitale Kommunikation die menschliche Wahrnehmung erheblich einschränkt. Die Atmosphäre von Räumen und Lebensformen, aber auch die nonverbale Kommunikation, die Körpersprache, werden stark reduziert. Virtuelle Kommunikationstools sowie Home/Mobile Office zeigen durch eine hohe Akzeptanz eine Veränderungsbereitschaft, die sich nachhaltig durchsetzen könnte.  Viele aber spüren, dass der soziale Zusammenhalt in den Betrieben leidet, wenn der persönliche Umgang weitgehend fehlt. Die Arbeit mit Tabellen im Homeoffice oder mit dem Laptop im Garten, die schnelle Videokonferenz per Tablet, der Entwurf für den Vortrag und die Arbeit an der Präsentation am Küchentisch – verteilte Technologien, Breitbandkommunikation und schneller Mobilfunk bieten unglaubliche Flexibilisierungsmöglichkeiten – nicht nur für die Büroarbeit. Junge Familien kann das entlasten, wenn Eltern ihre Arbeit besser um die Kinderbetreuung herum organisieren können. Aber: Dieser Trend entgrenzt die Arbeit auch. Und dann wird es schnell gefährlich. Sechstagewoche inklusive Sonntagsarbeit und zusätzlicher Spätschicht von 21 Uhr bis Mitternacht, Liegengebliebenes noch schnell aufzuarbeiten, das kann zu übermäßigen Belastungen führen. Irgendwann tritt dann im Homeoffice das Private völlig hinter die beruflichen Aufgaben zurück, lese ich auf deutschlandfunk.de.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass während Pandemien fast immer auch negative Stereotype und Vorurteile verstärkt werden und alles vermeintlich Fremde als Bedrohung kategorisiert wird.

In Berufen, bei denen es auf engen Kundenkontakt ankommt oder die auf kurzfristige Nachfrage angewiesen sind, ist ein nachhaltig negativer Trend zu beobachten. Die Gastronomie zum Beispiel hat sich immer noch nicht erholt. Viele Verbraucher/innen geben allerdings an, dass nicht die Pandemie, sondern die gestiegenen Preise der Grund sind, warum sie nicht mehr so häufig ins Restaurant gehen.

Der Mensch ist ein Herdentier. Verantwortlich dafür sei der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns, der Hirnstamm. Neben den Reflexen und automatisch ablaufenden Vorgängen wie Atmung oder Verdauung sei dort auch das menschliche Bedürfnis nach Anschluss verankert. Solche tiefer liegenden Hirnregionen beeinflussen uns offenbar stärker als die Großhirnrinde, die zum logischen und bewussten Denken befähigt – denn erst auf der Grundlage dieses Inputs steuert der präfrontale Kortex unser Verhalten. Das liege daran, dass wir Informationen unbewusst besonders schnell verarbeiten und sie erst danach in die Hirnrinde gelangen. Die tiefer liegenden Hirnabschnitte lenken so unsere Aufmerksamkeit auf Dinge, die für unser persönliches Wohlbefinden relevant sind. Das erleben wir vor allem im Netz, alle kommunizieren mit allen oft belanglose Dinge, um nur dazuzugehören. Aber die virtuelle Herde ist ein Fetisch, also die religionsähnliche „irrationale“ Verehrung von Objekten mit besonderer Bedeutung für die eigene Identität, denen besondere Wirkungsmacht auf das subjektive Wohlbefinden zugetraut, oft aber hemmungslos überschätzt wird.

Ob Corona und/oder Digitalisierung: Wir müssen darauf achten, dass unsere Gesellschaft nicht zu unpersönlich wird, Menschen auf ihr Funktionieren reduziert werden, das sinnliche gemeinsame Erleben nicht zu kurz kommt.

Ich wünsche Ihnen eine glückliche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.