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Ein Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller
  • Von der Seele reden

Die Pflegeversicherung in der Diskussion

Von der Seele reden | Folge 607

24.06.2024

Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.

Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de


Es gibt ein akutes Problem in der Pflegeversicherung. In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen explosionsartig gestiegen. Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000. Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden. Es gibt also erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind. Durch die Erfolge der Medizin ist die Gruppe derjenigen größer geworden, die schon in jungen Jahren pflegebedürftig sind.

Viele ältere Menschen können sich die Pflege nicht mehr leisten. Jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat und sich im Alter trotzdem die Pflege nicht leisten kann, hat ein Recht auf Unterstützung und ist kein Sozialfall. Da sind sich die Parteien im Grunde einig. Aber die Lösungsansätze sind unterschiedlich. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) hat vor der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Übernahme von versicherungsfremden Leistungen durch den Bundeshaushalt gefordert, damit die Beiträge nicht steigen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will eine solidere Form der Finanzierung der Pflege. Mit dem jetzigen Beitragssystem allein werden wir das Leistungsniveau der Pflege nicht erhalten können. Er will die Leistungen dynamisieren, also regelmäßig erhöhen. Deutschland gibt bisher in der Gesundheitsvorsorge im internationalen Vergleich nicht übermäßig viel für die Pflege aus. Hier ist vieles schon jetzt auf Kante genäht. So darf es nicht bleiben, sagt Lauterbach. Aber der Bundeshaushalt steht unter Druck. Die hohen Ausgaben, die Deutschland aus internationalen Gründen aufbringt, wie etwa für den Ukraine-Krieg, müssen wohl dazu führen, dass andere Prioritäten gesetzt werden. Die Pflegeversicherung aber darf dabei nicht unter den Tisch fallen. Da gibt es andere zum Beispiel Subventionstöpfe, die trotz zu erwartender Widerstände der FDP angegangen werden müssen. Nicht die Reichen brauchen in Krisenzeiten Zuwendungen, aber die pflegebedürftigen alten Menschen ganz sicher. Das nennt sich Solidarität.

Wie schneidet die deutsche Pflegeversorgung im internationalen Vergleich ab? Im europäischen Kontext zeigt sich sehr deutlich, dass bei der Finanzierung von Pflegesystemen ein Sozialversicherungsmodell die Ausnahme darstellt, während eine Finanzierung über steuerfinanzierte Modelle und mischfinanzierte Modelle deutlich häufiger vertreten ist. Die gemeinhin als Best Practice geltenden skandinavischen Länder lassen sich in ihrer Finanzierung der Langzeitpflege dem steuerfinanzierten Modell zuordnen. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass solche Modelle durch ihre oftmals dezentrale Steuerung das Risiko von regionaler Variation in der Leistungserbringung bergen und dass sie besonders verwundbar auf ökonomische Krisen reagieren können. Der deutsche Staat wird sicher nicht darum herumkommen, mehr Steuermittel für die Pflege in Anspruch zu nehmen.

Ich wünsche Ihnen eine glückliche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.