Das Neue Jahr
Von der Seele reden
Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.
Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de
Der Turmbau zu Babel – Eine Sprache sprechen
In dem Mythos des Turmbaus wird die Chance sichtbar, die darin besteht, eine einzige Sprache zu sprechen. Das geht uns heute noch an: Viele sprechen zwar auf der ganzen Welt englisch, das ist aber kein Garant dafür, dass sie sich wirklich verstehen. Und auch im gleichen Land sprechen die Menschen verschiedene Sprachen. Sie reden aneinander vorbei. Das ist die Ursache der Verwirrung. Und wenn die Menschen verwirrt sind, dann lebt jeder für sich. Es geht nichts mehr zusammen. Menschen untereinander verstehen sich immer weniger, so scheint es. Das hat mit kulturellen Unterschieden zu tun, die mit Sprache nicht immer zu erklären sind und einer globalisierten Welt, in der sich die Kulturen ständig begegnen, was früher nicht der Fall war. Das hat mit Komplexität von Sachverhalten zu tun. Das hat damit zu tun, dass Menschen die Sprache missbrauchen, um sich besonders hervorzutun. Man denke an Philosophen wie Habermas. Oder an den Wettbewerb von Wissenschaftler/innen, sich in sogenannten „Peer Reviews“ nur gegenseitig zu beweihräuchern. Der Nutzen für die Allgemeinheit ist ausgeschlossen. Auch sprechen Berufsgruppen eigene Sprachen, die andere nicht mehr verstehen. Das war bei Juristen schon immer so, auch Bürokraten sind diesbezüglich maßlos, auch ohne Juristen zu sein. Neu ist diese Unart bei IT-Spezialisten, die keinerlei Rücksichten auf andere nehmen, die ihre Fachbegriffe nicht kennen. Durch die Digitalisierung ist das persönliche Gespräch zur Ausnahme geworden, was ebenfalls dazu geführt hat, dass Sprache auf Stereotype reduziert wurde. Der Turmbau geht weiter. Besonders problematisch ist es, dass unsere Menschen Politik nicht mehr verstehen. Darum fordern Politik- und Medienwissenschaftler, Politik mehr narrativ zu vermitteln, also mit Hilfe von Geschichten, durch das Storytelling. Es ist nur sehr schwer vorstellbar, wie das menschliche Leben ohne Geschichten zu erleben ist. Wachleben und Träume gestalten sich in narrativen Formen, Menschen erinnern, konstruieren und antizipieren in Narrativen. Unabhängig von der Darstellungsform sind Geschichten allgegenwärtig und begleiten Menschen von Geburt an. Die Sozialisation des Menschen als Prozess zur Entwicklung der Persönlichkeit und Integration in das Umfeld ist im Wesentlichen durch Narrative bedingt. Geschichten verbreiten sich wie Epidemien von einer Person zur nächsten, und Begriffe wie „viral gehen“ und „trending now“ charakterisieren den ansteigenden Verlauf der Infektionskurve. Für den Wirtschafts-Nobelpreisträger 2013 Robert J. Shiller verzahnen sich die Einsichten in die Wirkungen der Narration für die Wirtschaft mit den Fortschritten in der Informationstechnologie und den sozialen Medien, denn das sind die Kanäle, durch die Geschichten um den Globus reisen und in Millisekunden viral gehen und eben weitreichende Auswirkungen auf das ökonomische und politische Verhalten haben. Wirtschaftliche, wie auch politische Entscheidungen orientieren sich eben nicht nur an Zahlen und Fakten, sondern auch an persönlichen Erfahrungen, Identität und Vertrauen. Auch unsere Aufmerksamkeit wird von unsystematischen Reaktionen auf Hörensagen gelenkt. Selbst Fiktion und Fake News machen Geschichten nicht selten beeindruckender. Tatsächlich mochten die Menschen schon immer amüsante Geschichten und verbreiteten Storys, von denen sie vermuteten, dass sie nicht stimmten. Denken wir an die größte Geschichte der Menschheit, die Bibel, deren Geschichten noch heute Millionen Menschen in aller Welt bewegen. Geschichten sind stets mehrdeutig, d.h. sie beziehen die Zuhörer/Leser/Zuschauer mit ein und regen dazu an, selbst eine Bewertung vorzunehmen. Daraus entsteht ein facettenreiches Wechselspiel von ineinander verflochtenen Erzählungen, aus dem individuelle und kollektive Identitäten hervorgehen. Bei der Verarbeitung im Gehirn aktivieren Geschichten komplexe neuronale Prozesse, die eine stärkere emotionale Reaktion hervorrufen als ein bloßer Datensatz. So können die Inhalte schneller übertragen werden und sind für die Rezipienten leichter zu merken. Menschen hören Statistiken, aber fühlen Geschichten: Rezipienten einer Geschichte können die darin vermittelten Informationen in virtuelle Erfahrungen verwandeln. Hoffentlich erhören Politiker/innen unser Drängen, damit nicht noch mehr Menschen Populisten anheimfallen. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.