Kein Mitleidsbonus – zum Tod von Wolfgang Schäuble.
Wenn ich an Wolfgang Schäuble denke, dann geht mir eine Szene durch den Kopf. Meine erste Begegnung mit ihm. Es war im Jahr 1991, ein Jahr nach dem Attentat auf den Politiker. Meine Freikirche hielt eine überregionale Konferenz in Offenburg ab. Prominenter Gast: Wolfgang Schäuble – im Rollstuhl. Ich durfte ihn als Pressesprecher meiner Kirche begleiten. Wir fuhren mit dem Rolli ins Foyer der Offenburger Stadthalle. Sofort kamen einige treue Betschwestern und umringten den prominenten Gast. Herr Schäuble, wir haben für Sie gebetet nach dem Attentat. Autogrammwünsche schlossen sich an. Fast barsch wies Wolfgang Schäuble den frommen Fanclub zurück. Ich möchte, dass sie mich wie einen Menschen behandeln, nicht wie einen Behinderten. Ich brauche kein Mitleid. Erschrocken und ein wenig irritiert zogen sich die Damen zurück, wir rollerten in die Halle. Dort ein zweites Erlebnis, das mein Leben als Pfarrer und Journalist verändert hat. Der evangelische Christ Schäuble fragte mich gegen Ende des Festgottesdienstes, ob wir kein Vaterunser beten würden. Nicht immer, sagte ich kleinlaut. Schade. Da hätte ich jetzt mitbeten können.
Warum erzähle ich das? Weil Wolfgang Schäuble mich 2 Dinge gelehrt hat: Auf den Mitleidsbonus kann man verzichten. Sogar im Wahlkampf. Schäuble hat stets durch Intelligenz, Leistung und enormen Einsatz überzeugt. 51 Jahre lang währte sein politisches Leben. Und: suche immer das Verbindende, nicht das Trennende. Das war die Geschichte mit dem Vater unser. Wie auch immer: Deutschland trauert um einen außergewöhnlichen Menschen und Politiker. Möge sein Vorbild viele inspirieren. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Ingeborg und seinen vier Kindern mit ihren Familien.