Gorbi allein zu Haus.
Er wird seinen 90igsten Geburtstag heute allein verbringen. Wie die meisten der restlichen Tage des Jahres auch. In seiner großen, leeren Datsche vor den Toren Moskaus, umgeben von Menschen, die ihn bekochen und ins Bett bringen. Der strahlende Held Michail Gorbatschow, der Architekt eines neuen Europa mit den Bauplänen Glasnost und Perestroika, ist ein einsa-mer, alter Mann. In der westlichen Welt und vor allem in Deutschland immer noch verehrt als der Gorbi, der den eisernen Vorhang und die Mauer niedergerissen hat, in der Heimat eher verachtet als der Mann, der durch seine Nachgiebigkeit die Weltmacht Sowjetunion zerstört hat. So lebt er also seit dem Tod seiner Frau Raissa allein, empfängt kaum Besuche, die Tochter und die Enkel leben im Ausland. Er schreibt Texte für seine Stiftung. Und er hat nur eine einzige Botschaft, die er den Journalisten mitteilt, so sie ihn denn ans Telefon kriegen: „Es darf keinen Krieg geben, wir müssen in Freundschaft leben“. Er klingt wie ein alter, liebevoller Großvater, dessen Stimme aus einer längst vergangenen Welt ertönt. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich-keit“, „alle Menschen werden Brüder“ und „The Russians love their Children too“ – für mich steht da die Welt der 1980iger vor meinem geistigen Auge wieder auf. Zeit der Hoffnung, Zeit der Friedensbewegung, Zeit des Mauerfalls – gefühlt der Anbruch einer besseren, friedlichen, gewaltarmen Zeitrechnung. Wie lange ist das her? Und wie weit sind wir wieder von diesen Zielen entfernt? Wenn ich Michail Gorbatschow ein Geburtstagsgeschenk machen darf: ich werde ihm immer danken, dass er die Welt verändert hat. Und seinen naiven Wahlspruch weiter in mir und in die Welt tragen: „Es darf keinen Krieg geben, wir müssen in Freundschaft leben.“ Einen herzlichen Geburtstagsgruß in deine Datsche bei Moskau, lieber Gorbi.