Die neue Neiddebatte.
Der Lockdown macht die Menschen nervös. Er macht sie aber auch mürrisch und missgünstig. Es geht vielen schlecht, unbestritten. Und wenn es mir schlecht geht, schaue ich argwöhnisch auf die, denen es besser geht als mir. Es kann doch wohl nicht sein, sich im Land Familien immer noch ein Einfamilienhaus bauen können und dürfen – bei der Wohnraumknappheit, die wir haben. Die Grünen ziehen deshalb in den Wahlkampf mit der Formel „Nachverdich-ten“. Es kann doch nicht sein, dass sich Wohlhabende und Einflussreiche Impfungen erkaufen und erschleichen können, obwohl sie noch gar nicht an der Reihe sind. Und dass Karlheinz Rummenigge eine Impfung für Fußballprofis einfordert, als Vorbild für die Restbevölkerung in Sachen Impfbereitschaft. Inhaber von Geschäften finden es skandalös, dass Friseursalons ab dem 1. März öffnen dürfen, Fitnessstudios und Tattoo-Läden aber noch nicht. Und dass ein texanischer Senator mitten im Eis-Chaos in seinem Lone-Star-State mal eben mit seiner Fami-lie nach Cancun in ein mexikanisches Luxushotel abhaut, anstatt den frierenden Bürgern ohne Strom und Wasser beizustehen, ist doch wohl das Letzte. In Nürtingen in Baden-Württemberg wurden 4 Polizisten geimpft. Der Impfstoff war übrig, nachdem ein Altenheim durchgeimpft worden war – ein Skandal.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Und ich will auch die einzelnen Punkte gar nicht bewer-ten. Ich möchte aber vor einem gesamtgesellschaftlichen Klima warnen, das uns noch tiefer in die Misere reitet. Sündenböcke suchen, Pranger aufstellen, auf die losgehen, die Privilegien haben – das hilft uns vielleicht, unseren eigenen Frust loszuwerden. Konstruktiv ist aber nicht – es wird uns unsere depressive Grundstimmung nur weiter befeuern. Gerade jetzt ist gesell-schaftlicher Zusammenhang gefragt. Also: Den Finger in die Wunden legen: Ja. Ungerechtig-keit angehen: Ja. Aber eine Neid- und Missgunst-Debatte zum beherrschenden Thema machen: Entschieden Nein.