Wer kann Deutschland regieren?
Von der Seele reden
Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.
Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de
Wer kann Deutschland regieren? Das dramatische Ampel-Aus und die Reaktionen darauf zeigen, dass die demokratischen Parteien in Deutschland gerade in einer Zeit, da es darum geht, die Populisten von rechts und links in die Schranken zu weisen, sich in einem desolaten Zustand befinden. Die Grünen haben ihre Pubertät offenbar immer noch nicht überwunden, und versuchen die Menschen bei uns mit erhobenem Zeigefinger zu moralisieren, während sich ihre Repräsentanten ständig in Widersprüche verwickeln. Die FDP ist zu einer Reichenpartei verkommen, die das Liberale auf die Freiheiten der Wirtschaftsbosse verkürzt. Wichtige Änderungen bei völlig überzogenen Mieten, ein anderes Erbrecht, dass Riesenvermögen endlich angemessen mit Erbschaftssteuern belegt und vieles mehr, ist mit dieser Partei nicht zu machen. Die Auseinandersetzungen um die Wirtschaftspolitik, die dann zum Aus der Koalition führten, zeigen das deutlich. Die SPD, der es immer noch nicht gelungen ist, im 21. Jahrhundert anzukommen und zur Zukunftspartei zu werden, will aus falsch verstandener Loyalität mit einem gescheiterten Bundeskanzler noch einmal in den Bundestagswahlkampf ziehen und demontiert sich so selbst. Die CDU möchte den Wählerinnen und Wählern Herr Merz als Bundeskanzler schmackhaft machen, einen Mann, der in einem seiner Bücher mit dem Titel „Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ geschrieben hat: „Unsere Volkswirtschaft kann zur Not ohne Automobilindustrie, ohne chemische Industrie, ohne Maschinenbau, ja selbst ohne eigene Energieerzeugung auskommen (…) Banken sind hingegen sind das Herz-Kreislauf System einer jeden Volkswirtschaft. Deshalb tut die Politik gut daran, vergleichbare Staatshilfen für andere Sektoren als dem Bankensystem klar und eindeutig abzulehnen.“ (S.220). Wer so etwas schreibt, darf nicht Bundeskanzler dieser Republik werden. Fragen wir doch mal die Mitarbeiter/innen von VW, was sie davon halten. Auch seine Grundhaltung gegenüber einem Sozialsystem, dass die Ärmsten und Schwächsten von uns ein Stück Lebensqualität sichert, beweist die Unfähigkeit dieses Mannes, unseren Staat zu führen: „Der politische Macht- und Gestaltungsanspruch steht der Erkenntnis zuwider, dass längst nicht alle, welche die Solidarität unseres Sozialstaats aufgedrängt bekommen, diese Solidarität auch wirklich brauchen.“ (ebenda, S. 69) Oder: „Deshalb liegt auch nichts Verwerfliches darin, dass sich die Kapitalmärkte von den Gütermärkten abgekoppelt haben und mittlerweile auf der Welt und mindestens 50-mal so viele Geldtransaktionen stattfinden wie reale Warengeschäfte.“ (ebenda S. 165) Kein Wunder, dass CDU wie auch die SPD nicht mal mehr 10 % Mitglieder haben, die unter 30 Jahre alt sind. Wenn es so weitergeht, sind beide Parteien in zwanzig Jahren ausgestorben. Das hat natürlich vor allem auch damit zu tun, dass die etablierten Parteien nicht wirklich präsent sind in den sozialen Medien. Von den im Bundestag vertretenen Parteien ist die AfD in sozialen Netzwerken am präsentesten. Das zeigt eine aktuelle Statista-Erhebung. Derzufolge kommt die AfD in den Netzwerken X (vormals Twitter), Facebook, Instagram, Youtube und Tiktok auf die meisten Folgenden beziehungsweise Fans (2,66 Millionen). Am nächsten an die AfD heran reichen die Grünen mit 1,43 Millionen Folgenden – der Abstand zur AfD ist aber auch hier beträchtlich. Die demokratischen Parteien müssen endlich im digitalen Zeitalter ankommen. Vor allem müssen sie endlich komplexe politische Sachverhalte mit Geschichten, also narrativ, erzählen. Das Storytelling ist in der Wirtschaft längst angekommen, unsere Parteien schlafen noch tief und fest. In Abänderung des Rates unseres ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, sage ich: „Es muss ein Ruck gehen durch unsere demokratischen Parteien:“ Einigt Euch endlich auf eine Politik, die der Mehrheit unserer Bevölkerung dient! Sie muss sich mit diesem Staat identifizieren. Wenn CDU/CSU, SPD und Grüne nicht an einem Strang ziehen, denn keine der Parteien wird allein oder nur mit einem Partner regieren können nach der nächsten Bundestagswahl, dann wird auch uns der Populismus, werden auch uns die hemmungslosen Egomanen, wie Weidel, Höcke und Wagenknecht die politische Würde und unsere Freiheit nehmen. Ich wünsche Ihnen trotz allem eine glückliche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.